Modena und Marzabotto 2022
Vom 20.-26. April 2022 machte sich eine Gruppe der Friedensschule Bremen und der Deutsch-Italienischen Gesellschaft auf eine bewegende Reise nach Italien. Im Mittelpunkt stand ein Besuch in Marzabotto am 25. April, dem Befreiung Italiens durch die Alliierten nach dem 2. Weltkrieg. Außerdem besuchten wir unsere Freunde der Italienisch-Deutschen Gesellschaft in Modena, die wir während der Pandemie im Rahmen der Online-Veranstaltungsreihe Incontri senza frontiere kennen und lieben gelernt haben. Nun stand also der erste reale Besuch an.
Vorausgegangen war der Reise die offizielle Einladung der Bürgermeisterin aus Marzabotto, Valentina Cuppi, an den Ortsamtsleiter von Bremen-Vegesack Heiko Dornstedt und den Beiratssprecher Torsten Bullmahn, um den seit vielen Jahrzehnten bestehenden Freundschaftsvertrag zwischen Bremen-Vegesack und Marzabotto erneut mit Leben zu erfüllen. Es wurde ein unglaublich intensives Programm erstellt, reich an Treffen, Veranstaltungen, Besichtigungen und bilateralem Austausch. In Marzabotto wurde gemeinsam auf dem Monte Sole übernachtet, einer rustikalen Jugendherberge mitten im Geschehen. Zuvor in Modena hatten wir noch die Möglichkeit in einem zentral gelegenen Hotel die Annehmlichkeiten der Moderne genießen zu dürfen.
Hier ein persönlicher Rückblick auf unseren Ausflug nach Italien. Wir danken Ulrike Petzold für die Zusammenfassung ihrer Eindrücke.
Friedens- und Freundschaftsbrücke Marzabotto-Bremen-Vegesack von Ulrike Petzold, Vorstandsmitglied der DIG Bremen e.V.
Delegation aus Bremen-Vegesack und der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Bremen in Marzabotto zum Giornata della Liberazione am 25. April 2022
„Durch unseren Besuch habe ich neue und mir bislang unbekannte Einblicke in die schrecklichen Geschehnisse aus September 1944 erhalten. Dies hat mich tief beeindruckt und betroffen gemacht. Das waren Verbrechen der Großelterngeneration, die sich niemals wiederholen dürfen und für die wir uns heute hier bei Ihnen entschuldigen“, sagt Heiko Dornstedt, Ortsamtleiter von Bremen-Vegesack am 25. April beim Nationalen Gedenktag zur Befreiung vom Faschismus auf dem Friedhof von San Martino im norditalienischen Marzabotto. Die Vegesacker Delegation, unter ihnen auch Beiratssprecher Torsten Bullmahn, ist eingeladen, bei den diesjährigen Gedenkfeiern auf dem Monte Sole dabei zu sein, mit ihnen auch Mitglieder der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Bremens.
Hunderte sind gekommen an diesem frühlingshaften 25. April, sie sitzen und stehen auf der Wiese, um der Opfer des Massakers vom Herbst 1944 zu gedenken, der 775 Frauen, Kinder und alter Männer, die SS und Wehrmacht in ihren Häusern, Kirchen und Plätzen ermordet haben. Es ist das größte Verbrechen der Nationalsozialisten gegen Zivilisten auf italienischem Boden. Nach einem Gebet und den Klängen von „Bella Ciao“ und der Nationalhymne wird ein Grußwort von Liliana Segre verlesen, Senatorin auf Lebenszeit und Auschwitz-Überlebende: “Il 25 Aprile è la nostra festa, la festa dei democratici, degli antifascisti, della nostra Repubblica. Ma una festa che oggi, come sempre, parla anche al nostro presente, ad un presente di guerra dove una potenza aggredisce e sanguinosamente distrugge un Paese sovrano nel cuore dell’Europa”. Auf den brutalen Angriffskrieg, den Russland in der Ukraine entfesselt hat, gehen alle Rednerinnen dieses Tages ein: “siamo gemellati nella tragedia a tutte le citta dell Ucraina“, fasst Walter Cardi, Präsident des „Comitato per le onoranze ai caduti“, zusammen. Roberto Fico, Präsident des italienischen Abgeordnetenhauses, weist auf die Waffenlieferungen Italiens und der EU an die Ukraine hin, und Marzabottos Bürgermeisterin Valentina Cuppi betont, dass Italien die Flüchtlinge mit offenen Armen aufnehme.
Und der Ortsamtleiter aus Vegesack bekräftigt: „So etwas wie die Gräueltaten aus 1944 sollte nie wieder möglich sein. Die Massaker von Putins Armee in Butscha haben uns da leider eines anderen belehrt. Darum ist es heute wichtiger denn je, unseren Kindern und Enkelkindern immer wieder die schrecklichen Auswirkungen von Kriegen deutlich zu machen und sie zu einem friedvollen Miteinander zu gegenseitigem Respekt und Anerkennung zu erziehen. Daran wollen wir gemeinsam arbeiten.“
Schon am Tag vorher, am 24. April, haben wir an mehreren Veranstaltungen teilgenommen, so bei der Buchvorstellung über einen Überlebenden des Massakers von Marzabotto: „Ti racconto Marzabotto, storia di un bambino che e sopravvisssuto“ von Franco Leoni Lautizi, mit einem Vorwort von Martin Schulz, Vorsitzender der Friedrich Ebert-Stiftung und langjähriger Präsident des Europaparlaments. Schulz sitzt in der Mitte des Podiums. Europa, sagt er, sei das einzige Gegenmodell zum Nationalismus: „Der allein ist der Kriegstreiber, wie wir in der Ukraine sehen.“
Am Abend fahren wir mit unserer Begleiterin Patrizia Zanasi ins Bergdorf Grizzana Morandi, um die „Fiaccolata della Liberazione“ zu begleiten, den traditionellen Fackelzug am 24. April. Einige hundert BürgerInnen ziehen schweigend mit Fackeln durch die stillen abendlichen Straßen, die von den Anwohnern gesäumt sind, bis zur Kirche. Dort spielt die Dorfkapelle die italienische und die deutsche Hymne, zu Ehren der deutschen Gäste. Auch hier in Grizzana ist die Unterstützung für die Ukraine lebendig: Eine Ukrainerin trägt auf der Piazza ein Gedicht vor, dessen Verse von Kindern der Grundschule Zeile für Zeile ins Italienische übersetzt werden. Ein Abend mit eisigem Wind von den Bergen, aber warmherzig und bewegend, den wir Bremer nicht vergessen werden – auch nicht das Menu, das uns dann in der Trattoria Pina serviert wird.
Mit all diesen Veranstaltungen, Gesprächen und dem Musik-Festival mit tausenden Teilnehmern ist die langjährige Freundschaft zwischen Marzabotto und Vegesack erneut gefestigt worden. Seit 1984, also seit fast vierzig Jahren, sind BremerInnen bei den Gedenkveranstaltungen am 25. April dabei. 1985 besucht Marzabottos Bürgermeister Dante Cruicchi Bremens Bürgermeister Hans Koschnick. 1989 kam der damalige Bremer Bürgermeister Dr. Henning Scherf für einige Tage in das Friedenscamp nach Marzabotto und 2004 besuchte auch der damalige deutsche Bundespräsident Johannes Rau, gemeinsam mit dem italienischen Präsidenten Scampi, die Internationale Friedensschule im Parco Monte Sole und die Gemeinde Marzabotto. Bundespräsident Rau sprach von großer Scham, die er an diesem Ort deutscher Kriegsverbrechen empfinde. Es folgen zahlreiche gegenseitige Besuche zwischen Vegesack und Marzabotto, Austausch von Jugendgruppen, Workcamps, Wanderungen auf den Spuren der Geschichte, die Gründung der Friedensschulen in Vegesack und Marzabotto mit ihrem internationalen Jugendaustausch und der Freundschaftsvertrag zwischen beiden Gemeinden.
Unsere Reise nach Norditalien begann schon ein paar Tage vorher in Modena, der Stadt des Balsamico. Wir haben mit unserer Partnergruppe, der Associazione Culturale Italo-Tedesca, die Stadt kennengelernt mit ihren Plätzen, Kirchen und der Synagoge, ihren Bars und Trattorien, in denen hausgemachte Nudeln mit Parmigiano-Soße und natürlich Balsamico di Modena serviert werden, dazu vino frizzante. Wir sind in einer Acetaia in einige Geheimnisse der aufwändigen Balsamico-Herstellung eingeweiht worden. An einem regnerischen Tag haben wir im benachbarten Carpi das „Museo Monumento al Deportato“ besucht, das mit Zitaten aus Briefen und Tagebüchern gefallener junger Partisanen tief beeindruckt.
Am Eingang lesen wir das berühmte Brecht-Zitat: “Der Schoß ist fruchtbar noch, aus dem das kroch“ aus dem Epilog des Stück „Der aufhaltsame Aufstieg des Arturo Ui“. Dann sind wir zum Campo di Fossoli gefahren, der Gedenkstätte eines Durchgangslagers für Juden auf dem Weg in die Vernichtung und für Italiener, die als Zwangsarbeiter nach Nazi-Deutschland deportiert wurden, viele auch nach Bremen und Umgebung.
Überall auf unserer Reise sind wir BremerInnen auf Gastlichkeit gestoßen, wir haben in Marzabotto die Freundschaft beider Gemeinden und Länder vertieft und gerade in diesem Jahr, in dem wieder Krieg in Europa ausgebrochen ist, an vielen Veranstaltungen teilgenommen und untereinander diskutiert. Ich habe viel gelernt darüber, wie in Italien Erinnerung und Gedenken wachgehalten werden können, und auch, dass Trauer und Lebensfreude sich nicht ausschließen, wenn beim großen Musik-Festival am 25. April auf dem „Poggiolo“ mir immer wieder „Bella 25 aprile“ zugerufen wurde.
Gern wollen wir noch in diesem Jahr die PartnerInnen und FreundInnen aus Marzabotto bei uns in Bremen begrüßen.
Ulrike Petzold (DIG)