Oberitalienische Seen / Tessin – 2016
Zauberhafte Gärten und Villen in den paradiesischen Landschaften des Luganer Sees, Lago di Como und Lago Maggiore
8-tägige Busreise – 11. bis 18. Juni 2016
„Der Zauber der Tessiner Landschaft liegt in ihrem geheimnisvollen Licht, in der Linie ihrer Hügel, in den uralten Kastanien- und Buchenwäldern, in den abgeschiedenen Tälern. Im Gegensatz zwischen Bergen und Seen, in den Winkeln der Dörfer und Städte, die doch ihre lombardische Freimütigkeit zu bewahren wußten“. Alberto Nessi, Tessiner Schriftsteller
Ein Reiserückblick
„Auch wir in Arkadien!“
Erinnerungen an unsere erste Studienreise an die Oberitalienischen Seen
Von Sigrid Schuer, Präsidentin der Gesellschaft
„Auch wir in Arkadien!“
Erinnerungen an unsere erste Studienreise an die Oberitalienischen Seen
Von Sigrid Schuer, Präsidentin der Gesellschaft
Unser Bus klettert emsig wie eine Gämse das wildromantische Verzasca-Tal empor. Der Blick fällt zurück auf den blau schimmernden Lago Maggiore und die durch Filmfestspiele und Weltpolitik bekannt gewordene Stadt Locarno. Die Sonne strahlt am Himmel auf die schneebekränzten Bergkuppen herab. Noch nachts zuvor hatte der Gewittersturm an den Fensterläden unseres verwunschenen, auf einem Hügel hoch über Varese gelegenen Grand Palace Hotels gerüttelt. Dieses Jugendstil-Juwel mit der Anmutung des „Grand Budapest Hotel“ aus dem gleichnamigen Film von Wes Andersen liegt nur wenige Kilometer von den oberitalienischen Seen entfernt, zu denen die erste Reise der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Bremen nach Jahrzehnten führte, dank der Kooperation mit „Reisekunst“, einem Studienreisen-Anbieter aus Osnabrück.
Unser Busfahrer Jörg, Held der autostrada, und ich als Reiseleiterin hatten am Abend zuvor die halsbrecherische Strecke am Laptop berechnet und mit der immer zuvorkommenden Dame an der Rezeption das Wetter und eventuelle Erdrutsch-Warnungen gecheckt. Die Schweizer Fahne flattert stolz über den ersten, naturbelassenen Rustici, wildromantische Häuschen, Stein auf Stein geschichtet, die heute als Feriendomizile vermietet werden. Dann der erste Stopp am Stausee mit der mehrere Häuser hohen Betonwand, von der man sich todesmutig wie James Bond in „GoldenEye“ am Bungee-Seil für gerade mal 300 Schweizer Franken in die Tiefe stürzen kann.
Die Tour durch’s Verzasca-Tal ist für diejenigen nichts, die Höhenangst haben, also bleibt ein Paar vor dieser spektakulären Kulisse zurück. Edith, die uns an Bord immer mit leckeren Dolci und gemeinsam mit Inka, mit einer gut bestückten Bücherkiste versorgt, ist die nächste, die uns verlässt und zwar im bekanntesten Ort des Tales, Lavertezzo. Hier bauten bereits die Römer über die in Smaragd-, Türkis- und Jade-Tönen irisierende, schäumende Gischt die doppelbögige Ponte dei Salti, eines der beliebtesten Foto-Motive im Tessin. „Divertitevi ma attenzione“ – „Vergnügt Euch, aber Vorsicht!“, diese Warnung hat ihren Grund. Denn in den steinernen Bachbetten, die der reißende Gebirgsstrom zu natürlichen Badewannen ausgespült hat, kann man zwar ein eiskaltes Bad nehmen, läuft dabei aber auch immer Gefahr, mitgerissen zu werden.
In Brione ist ein Pfad angelegt worden, auf dem zeitgenössische Kunst mit der Natur verschmilzt. Und immer wieder stürzen Wasserfall-Katarakte von den steilen Felswänden herab. Das Tal ist zu steil, um es mit Skicircus irgendwelcher Art zu verhunzen. Im 18. Jahrhundert war die Bevölkerung hier so bitterarm, dass sie kurzerhand ihre kleinen Söhne an wohlhabende Mailänder Familien als lebendige Schornsteinfeger vermietete. So steil sind die Felswände, dass die Bergbauern-Familien ihre Kinder kurzerhand anpflockten, damit sie beim Spielen nicht in die Tiefe stürzten. Weiter an kleinen Kapellen vorbei geht es hoch nach Sonogno unterhalb der schneebedeckten, majestätischen Gipfel auf einen kurzen Rundgang durch das malerische Dorf. Die alte Dame, die hier sonst Kastanienbrot verkauft, ist ausgeflogen, also nichts wie rein in die einzige Bäckerei vor Ort.
Und schon kurvt unser ferrariroter Sausewind-Bus wieder hinab ins Tal und wir nehmen unsere ausgeflogenen Passagiere wieder an Bord. Letzter Foto-Stopp an der Ponte dei Salti, von der wir uns kaum trennen können. Jörg hat eine fahrtechnische Meisterleistung hingelegt, bis wir wieder sicher in unserem anheimelndem Übernachtungsquartier im Schwarzwald in der Nähe von Freiburg landen. „All’s well that ends well“ heißt es bei Shakespeare. „Ende gut, alles gut!“ Ermunterndes Fazit unserer „Reisefamilie“: „Wir sind als Freunde zurück gekommen!“ und: „Wann machen wir unsere nächste gemeinsame Reise?“ Und das trotz so mancher Krankheitsfälle und vergessener Koffer.
Außerdem hatte unsere Reise in den Süden auf den Spuren von Hermann Hesse, der von 1919 bis 1962 in Montagnola lebte, äußerst abenteuerlich begonnen: Hatten wird die alte Industrie- und Universitätsstadt Basel und den Vierwaldstätter See problemlos passiert, erwischt es uns kurz vor dem Gottardo-Tunnel kalt: Bus-Panne! Unser Fahrer Jörg winkt geistesgegenwärtig einen Bus heran. Die chinesische Reisegruppe aus Peking auf dem Weg nach Piacenza rückt diszipliniert zusammen, um uns dann an der nächsten Autobahn-Raststätte wieder abzusetzen. Niemand käme auf die Idee, zu maulen, ganz im Gegenteil. In gebrochenem Englisch werden Reisepläne und Nettigkeiten ausgetauscht und am Ende gibt’s sogar Applaus von beiden Seiten. So unkompliziert kann Völkerverständigung funktionieren. Unsere „Reisefamilie“ beweist während der sich in die Länge ziehenden Wartezeit bewundernswerte Disziplin. Es werden in Vorfreude auf die Lago-Tour einfach Bücher studiert.
Unsere resolute, ebenso charmante wie humorvolle Gästeführerin Silvia d’Amato lotst Jörg mit seinem ferrariroten Bus durch die verwinkelten Straßen Comos, vorbei am Teatro Comunale und am mittelalterlichen, weißen Kuppelbau des imposanten Domes bis zum Hafen, in dem die Schiffchen für eine Spritztour über den Lago di Como warten. Ausführlich stellt sie uns eine der wichtigsten, mittelalterlichen Kirchen Italiens vor. Das entzückende, beschauliche Städtchen mit dem mediterranen Charme seiner alten Bausubstanz ist nicht nur Geburtsstadt der Ikone der Elektrizität, Alessandro Volta, sondern auch als Seidenstadt bekannt. Doch das in Bezug auf Seide preiswerteste Geschäft am Ort hat leider geschlossen. Später werden wir auf der Rückfahrt am Lago in einer der Haarnadelkurven, die Jörg mit links meistert, einen Blick auf das Domizil von Hollywoodstar George Clooney und seiner Frau Amal erhaschen. Zuvor setzen wir aber mit der Fähre ins leider verregnete Bellagio über, um einen Spaziergang durch den herrlichen Park der am Lago gelegenen Villa Melzi zu unternehmen. Hier schrieb Stendhal seine Werke, zu denen er sich von der Villa La Collina in Cadenabbia und von der Villa del Balbianello in Lenno, vis à vis der Insel Comacina, inspirieren ließ.
Die Besichtigung der Villa del Balbianello erweist sich als weiterer Höhepunkt unserer Studienreise. Ende des 18. Jahrhunderts ließ sich Kardinal Angelo Maria Durini auf der Spitze von Lavedo, einer romantischen Halbinsel auf dem Comer See, einen paradiesischen Wohnsitz erbauen, der ganz der Kontemplation und den schönen Künsten geweiht war. Ein Juwel ist die Loggia, die die Bibliothek mit Blick auf den azurfarbenen Comer See und das Musikzimmer verbindet. An das Franziskanerkloster aus dem 16. Jahrhundert, das hier zuvor seinen Sitz hatte, erinnern heute noch zwei Glockentürme. Die Villa del Balbianello diente als malerische Kulisse für Hollywood-Filme wie den James Bond-Streifen „Casino Royal“. Wie wir von Silvia erfahren, ist es gar nicht mal so kostspielig, die Villa für einen Tag für eine besondere Festivität zu mieten.
So fantastisch wie ein Agenten-Film ist auch die wechselvolle Geschichte der märchenhaften Villa, in die sich nacheinander der amerikanische General Butler Ames und der Mailänder Kaufhauskönig Guido Monzino verliebten, die Villa erwarben und umbauen ließen. Dank Monzino ist die Villa heute ein mit wertvollen Kunstgegenständen aus aller Welt exquisit eingerichtetes Museum. Im Dachgeschoss erzählen Erinnerungsstücke von seinen zahlreichen Expeditionen, 1971 zum Nordpol und 1973 zum Mount Everest. Der Forschungsreisende, der die Villa 1974 erwarb, konnte das Anwesen nach dem vierjährigen Umbau nur ganze zehn Jahre genießen, bis zu seinem frühen Tod, im Alter von nur 60 Jahren im Jahr 1988. „Auch wir in Arkadien!“, das denken wir mit Goethe im Angesicht der Villa Carlotta. In ein wahres botanisches Paradies, in dessen üppige 70.000 Quadratmeter die weiße Villa Carlotta eingebettet ist, tauchen wir in Tremezzo ein. Sie wurde für den Feldmarschall der Kaiserin Maria Theresia, Giorgio Clerici, erbaut. 1801 erwarb sie der italienische Adlige Gian Battista Sommariva. Der Mäzen junger, noch unbekannter Künstler brachte wertvolle Kunstwerke hierher, unter anderem von Thorvaldsen, Hayez und Canova (eine Kopie seiner berühmten „Amor und Psyche“-Skulptur). Mitte des 19. Jahrhunderts erhielt die preußische Prinzessin Charlotte von Sachsen-Meiningen die Villa als Hochzeitsgeschenk. Das Entrée mit den dekorativen Treppenfluchten und die Brunnen erinnern entfernt an die Villa d‘Este in Tivoli vor den Toren Roms. Aus einem Bassin lugen Wasserschildkröten, während in der nächsthöheren Etage in der Orangerie nach Goethe „die Goldorangen und -zitronen glühn“. Und die Jasmin-Hecken duften betörend.
Schließlich Hermann Hesse, der 1962 in seiner geliebten Tessiner Wahlheimat mit 85 Jahren starb. Zunächst besuchen wir in dem Dörfchen Gentilino Hesses Grab auf dem malerisch gegenüber dem Kirchlein mit der Zypressenallee gelegenen Friedhof Sant’Abbondio. Weiter geht’s zu dem verwinkelten Häuschen in Montagnola, in dem der Schriftsteller rund 30 Jahre lebte. Dort stöbern wir ausgiebig in den Briefen, die seine Verbindungen zu prominenten Zeitgenossen dokumentieren. In der obersten Etage wird der popkulturelle Einfluss gezeigt, den Hesses Werke, vor allem „Der Steppenwolf“ und „Siddhartha“, auf den Summer of love der Hippie-Bewegung hatten. Mit einem Ausflug nach Morcote geht der Tag zu Ende.
Ein neuer Tag, eine neue Entdeckung. „Hier wohnt das Glück!“ kommt uns mit Axel Munthe in den Sinn, als wir vom hochherrschaftlichen Stresa mit seinen luxuriösen Grand Hotels über den Lago Maggiore zur Isola Bella hinüber schippern. „Hier wohnt das Glück!“, das, was der schwedische Arzt beim Anblick seiner isola bella Capri empfand, das gilt auch für „unsere“ schöne Insel. Auf der Felseninsel im Lago begann Giulio Cesare III. Borromeo im 17. Jahrhundert zu Ehren seiner Frau Isabella, nach der die Insel benannt ist, einen der spektakulärsten Barockgärten der Welt anlegen zu lassen. Der mit Kunstschätzen angefüllte Palazzo, in dem erst vor kurzem eine Tochter des mächtigen Mailänder-Fürstengeschlechtes der Borromäer mit einem Mitglied des Fürstenhauses Grimaldi eine Traumhochzeit feierte, ist nicht weniger imposant. Der Anblick des von dem Einhorn, dem Wappentier der Borromäer, gekrönten Teatro Massimo ist das atemberaubende Entrée zu dem oberen Teil des in Terrassen angelegten Barockgartens, von dem sich ein märchenhafter Panoramablick über den Lago Maggiore eröffnet. Im 19. Jahrhundert ließ Graf Vitaliano IX Borromeo (1792-1874) die exotischsten Pflanzen aus Neuseeland, Tasmanien, Japan, Südamerika und dem Himalaya auf die Isola importieren, die in dem milden Klima prächtig gedeihen. Das Beste aber, da sind wir uns einig, sind die handzahmen, weißen Pfauen samt Pfauenküken, die majestätisch die paradiesische Parkanlage durchschreiten. „Auch wir in Arkadien!“