Kunstrausch in Kassel
Auch wir auf der documenta 14 – Wochenend-Reise der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Bremen
Von Sigrid Schuer
Italien hat seine Biennale di Venezia. In Deutschland zieht die documenta in Kassel alle fünf Jahre das internationale, kunstinteressierte Publikum in Scharen in ihren Bann. Auch dieses Jahr wird die vormalige hessische Residenzstadt mit der documenta 14 zum begehbaren Kunstwerk. Andrea Boesken, Präsidentin der DIG Kassel, hatte, als ihr Mann Cai im November für uns in der Villa Ichon einen Vortrag über Mantua hielt, angeregt: „Ihr müsst unbedingt nach Kassel zur documenta kommen“. Da traf es sich günstig, dass die DIG Kassel ihren 65. Geburtstag in Grimms Bistro mit einem großen Sommerfest feierte. Was lag also näher, als mit einer Delegation von acht Bremer DIG-Mitgliedern am ersten Juli- Wochenende eine Exkursion in die Welthauptstadt der zeitgenössischen Kunst zu unternehmen?
Uns erwartete ein spannendes, mit Erlebnissen reich angefülltes Wochenende, zu dem das Motto „Ein Hoch auf uns, auf dieses Leben“ (Andreas Bourani) gepasst hätte. Zum krönenden Abschluss der Geburtstags-Party zündete Cai A. Boesken, der langjährige Präsident der VDIG, in einer lauen, italienisch temperierten Sommernacht ein fulminantes Höhenfeuerwerk. Nicht minder fulminant : Die Light-Show mit den beiden Tänzerinnen von „Karma“. Italienisch auch das opulente Buffet, Basis für viele anregende Gespräche mit den DIG-Kollegen aus Kassel, aber auch aus Lübeck, die wie wir eigens zur documenta angereist waren.
Schon am Sonnabend-Vormittag hatte uns Cai A. Boesken in die eminent politischen Intentionen des documenta-Kurators Adam Szymczyk unter dem Motto „Von Athen lernen“ eingeführt. Die documenta 14 wird erstmals parallel in Griechenland veranstaltet. Der zentrale documenta-hot spot in Kassel ist der Friedrichsplatz mit dem Fridericianum und der documenta-Halle. Das dominierende , monumentale Kunstwerk auf dem Friedrichsplatz in diesem Jahr: Das Parthenon der Bücher der argentinischen Konzeptkünstlerin Marta Minujín nach dem antiken griechischen Vorbild. Eine Installation aus einem Stahlgerüst, befüllt mit in Plastik eingeschweißten Büchern, die irgendwo auf der Welt verboten sind oder einmal verboten waren. Memento mori und Mahnung zugleich an das so zerbrechliche, schützenswerte Gut der freien Meinungsäußerung, Basis jeder funktionierenden Demokratie.
Kassel, das begehbare Kunstwerk, wie sehr Kunst in breite Teile der Gesellschaft hinein wirken kann, das dokumentieren wohl am eindrucksvollsten die 7.000 Beuys-Eichen, die der Künstler, der insgesamt an acht documenten teilnahm, seit 1972 als eine Art soziale Skulptur anpflanzen ließ, jeder Baum von einer Basalt-Stele flankiert. Das lernten wir am Sonnabend- Vormittag von Enrico Lintze, dem langjährigen Vizepräsidenten der DIG Bremen, der uns zu den documenta-Kunstwerken führte, die das Stadtbild schon vor der diesjährigen documenta seit Jahrzehnten geprägt haben. Besonders beliebt: „Man walking to the sky“ von Jonathan Borowski am Kulturbahnhof. Außerdem erfuhren wir viel Wissenswertes über
die Historie der Barock- und Residenzstadt, die, bis sie 1943 durch Bombenangriffe zerstört wurde, einmal zu den schönsten deutschen Städten gehörte.
Am Sonntagvormittag führte uns unsere überaus kompetente Choristin (documenta-Guide) drei Stunden lang durch die Neue Galerie. Sie schlug den Bogen zu Joseph Beuys und seiner Installation „Rudel“ (ein VW-Bus mit Schlitten), einem der zentralsten Kunstwerke in der Geschichte der documenta. „Rudel“ ist das Symbol für die Lebens-Legende, die sich Beuys strickte: Als 19-jähriger Funker an Bord eines Militärflugzeugs abgeschossen, wurde er nie müde, zu berichten, dass ihm von Krim-Tataren das Leben gerettet worden wäre.
Wem nun von so viel Kunst-Flanieren und –Gucken doch die Füße weh taten, hatte die Möglichkeit, einen erfrischenden Abstecher in die Kurhessen-Therme, gleich unterhalb der Herkules-Statue in Kassel-Wilhelmshöhe zu unternehmen, die in diesem Jahr 300 Jahre alt wird.
Schönes Apercu am Rande: Auf Vermittlung von Enrico übernachteten wir in einer Ferienwohnung in Uschlag auf dem Land, auf dem Hof seines Cousins Ludwig, der im 18. Jahrhundert erbaut wurde. Idylle pur mit Schweinen und Hühnern. Mit wunderbarem Frühstück eine preiswerte Alternative zu den ziemlich astronomischen documenta-Hotel- Preisen. Fazit: Es muss also nicht immer die Biennale di Venezia sein… .