Tagebuch einer außergewöhnlichen Reise – Auf den Spuren der Anti-Mafia-Bewegung Addiopizzo

Vom 12.-19. Oktober 2019 begab sich eine Gruppe der Deutsch-Italienischen Gesellschaft Bremen e.V. auf eine außergewöhnliche Reise nach Sizilien: Unter dem Titel „La Sicilia autentica“ – organisiert von der Reiseagentur „Addiopizzo Travel“ aus Palermo – führte diese durch den westlichen Teil der Insel, durch faszinierende, fast unberührte Landschaften, sowie zu weltberühmten kulturellen Highlights, wie Palermo, Monreale, Valle dei Templi, Erice, Segesta. Ein wesentlicher Schwerpunkt dieser Reise war jedoch die Auseinandersetzung mit der Geschichte der Mafia auf Sizilien und die beeindruckenden Begegnungen mit mutigen Menschen von heute im Kampf gegen diese. Bei den ausgewählten Unterkünften und Restaurants handelte es sich ausnahmslos um Einrichtungen, die addiopizzo-frei, also schutzgeldfrei sind bzw. die der Mafia enteignet wurden.

1. Tag (12.10.)

Die Reise beginnt in Palermo. Linda, eine sizilianische Addio Pizzo-Aktivistin und unsere Reisebegleitung, holt uns abends zum ersten gemeinsamen Abendessen ab. Das Essen findet bei “Libera” statt, einem Ort, an dem verschiedene NGOs mit dem Restaurant “Mol- tovolti” zusammenarbeiten mit dem Ziel, neue Projekte für Palermo und damit neue Perspektiven und Arbeitsplätze zu entwickeln.

2. Tag (13.10.)

Wir treffen uns mit Giacco, einem palermitanischen Guida Turistica, zu einer kulturhistorischen Führung durch das alte Palermo (Palazzo dei Normanni, Dom von Palermo, Ballarò…) und bestaunen die zahlreichen Palazzi der Stadt; entweder wurden diese schon sensibel restauriert oder sind noch schlafend – wie Giacco es liebevoll nennt. All diese Palazzi und Orte füllt Giacco mit seinem historischen Wissen, belebt sie mit Figuren der Geschichte. Damit gelingt es ihm, uns die sichtbare Kluft zwischen Pracht und Verfall in Palermo ver- ständlich zu machen. Wir beenden diesen Tag mit einem typisch sizilianischen Mahl in der “Antica Focacceria San Francesco”, einer der ersten gastronomischen Betriebe, der sich der Addiopizzo-Bewegung angeschlossen hat.

3. Tag (14.10.)

An diesem Tag widmen wir uns dem Anti-Mafia-Kampf mit dem Motto von Addiopizzo “Un intero popolo che paga il pizzo è un popolo senza dignità”. Linda gibt uns eine Einführung in die Entstehungsgeschichte der Bewegung von Addiopizzo, deren Existenz mittlerweile eine “camurrìa” (sizilianisch für “Schwierigkeit”) für die Mafia bedeutet. Wir begebenuns auf die Spuren des Anti-Mafia-Kampfes und besuchen Orte, die den Opfern der Mafia gewidmet sind. Nach ein wenig Freizeit im Herzen Palermos geht es nach Cefalù, wo sich ein weiteres arabisch-normannisches Kunstwerk befindet, der Dom. Direkt am Meer gelegen besticht Cefalù durch die Verbindung von Natur und Kultur.

4. Tag (15.10.)

In Corleone besuchen wir das “Laboratorio della legalità”, welches sich in einem von der Mafia konfiszierten Haus in unmittelbarer Nachbarschaft eines Bruders des Mafiabosses Provenzano befindet. Außer einem Shop, der Lebensmittel von konfiszierten Ländereien vertreibt, gibt es eine Ausstellung verschiedener Kunstwerke, die den Kampf gegen die Mafia bildlich verarbeiten. Nachhaltige Aufklärung durch die Mitarbeiter dieses Laboratoriums finden auch in Form von Schulbesuchen, Workshops und Vorträgen statt. Weit außerhalb empfängt uns das Agriturismo “Terre di Corleone”, u.a. mit frisch zubereitetem Ricotta und sizilianischem Rotwein. Abends erinnert uns das “Valle dei Templi” von Agrigento an die griechische Ära auf Sizilien. Abgerundet wird dieser Tag mit einem sizilianischen Menü im Kulturzentrum “Farm Cultural Park” im Ort in Favara.

5. Tag (16.10.)

Bevor wir nach Marsala aufbrechen, besuchen wir nochmals das historische Zentrum “Farm Cultural Park” in Favara. Insgesamt gehören sieben Höfe zu diesem Park. Diese werden wieder bewohnbar gemacht und mit neuem, sizilianischem Leben gefüllt. Außerdem lockt Favara mit der Ausstellung “Il biennale delle città del mondo” zahlreiche Besucher aus aller Welt an. Nach einem individuellen Gang durch Marsala schippern wir gemeinsam zur Insel Mozia. Unser capitano versorgt uns nicht nur mit zahlreichen Informationen über die von Whitaker entdeckte phönizische Siedlung, er hält auch einen guten Schluck Marsala-Wein für uns bereit. Wir beschließen diesen Tag beim Sonnenuntergang in einem Lokal vor den Salzgärten Marsalas.

6. Tag (17.10.)

Nur ungern verlassen wir unser wunderbares Hotel hoch über der Bucht von Trapani. Unser nächstes Ziel ist das malerische Bergstädtchen Erice. Wir treiben durch die Gassen, bevor uns unser Fahrer Salvo sicher durch alle Haarnadelkurven des Gebirges nach Castellammare del Golfo bringt. Hier überrascht er uns mit frisch frittierten Cassatelle. Derart gestärkt widmen wir uns dem Besuch von Segesta. Abends erreichen wir Cinisi und besuchen “La Casa Memoria Felicia e Peppino Impastato”. Eine junge engagierte Angestellte klärt uns über die wichtigsten historischen Ereignisse auf, die zur Schaffung dieser Gedenkstätte im ehemaligen Wohnhaus der Impastatos geführt haben. Anschließend folgen wir den „cento passi” zum ehemaligen Wohnsitz des damaligen Mafiabosses.

7. Tag (18.10.)

Heute treffen wir den Fotografen Antonio, der unmittelbar nach dem Attentat auf Giovanni Falcone am 23. Mai 1992 in Capaci am Ort des Geschehens war. Im “giardino della memoria” zeigt er uns den Tunnel unter der Autobahn, in dem der Sprengstoff versteckt war. Er schildert uns lebhaft und faktenreich das damalige Inferno. Wir gehen hinauf auf den Berg an jene Stelle, von der aus die Bombe gezündet wurde und man die Autobahn sehr gut überblicken kann. Spätestens hier wird deutlich, dass dieses Attentat generalstabsmäßig geplant gewesen sein muss. Am späten Nachmittag suchen wir mit Linda in der Via d’Amelia jenen Ort auf, an dem am 19. Juli 1992 Paolo Borsellino einem Attentat zum Opfer fiel. Zum Gedenken an ihn wurde hier ein Olivenbaum gepflanzt, der heute mit unzähligen Tüchern, Mützen und Botschaften von Besuchern bestückt ist. Linda zitiert zum Abschluss den Slogan des Antimafiakampfes: “non li avete uccisi, le loro idee camminano sulle nostre gambe”. Wir sind tief beeindruckt. Nach diesen bewegenden Begegnungen atmen wir hoch oben auf dem Pellegrino mit einem letzten Blick auf Palermo noch einmal tief durch, genießen die sich majestätisch darbietenden Gebirge und fahren zum letzten gemeinsamen Abendessen unserer Reise.